Episode 08: Viral
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Corona-Krise als die größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Eine zweifelsohne außergewöhnliche Situation: Wir sind uns bewusst, gerade Zeitzeugen einer historischen Episode zu werden. Was verlangt sie uns ab? Wie stellen wir uns ihr entgegen? Und wie gewinnen wir eine Perspektive auf die Krise, die es uns erlaubt, daran zu wachsen?
In der aktuellen Episode unseres Spoken Word Podcasts machen wir uns auf die Suche nach den neuen Bruchstellen, die sich plötzlich in unserem Alltag auftun. Wie immer auf der Mission, diese Risse aus erhellenden Blickwinkeln zu beleuchten und für dich zu vergolden.
Neben den Gesundheitsrisiken, der Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit und den finanziellen Nöten, in die viele von uns aktuell geraten (zu denen du wertvolle Inhalte aus journalistischen Quellen lesen solltest, wenn du dazu mehr wissen möchtest), sind wir in unserem Alltag auf uns selbst zurückgeworfen. Strukturgebende Rhythmen unseres täglichen Lebens und die sinnstiftende oder zumindest Tageszeit füllende Tätigkeit unserer Jobs fehlen ebenso wie Freunde, Familie und Hobbys. Was bleibt zu tun?
Unsere Alltags-Normative verschieben sich und sind, wenn auch nicht greifbar, doch immer präsent. Wir begegnen uns anders, es herrscht eine intersubjektive Verlegenheit in unserer Kommunikation. Unsichtbare und sichtbare Barrieren zeigen uns die Endlichkeit des Seins auf.
Selbst der Sehnsucht stillende Rausch des Konsums scheint ausgehöhlt: wofür Kleidung shoppen, die wir nicht ausführen oder das chice Auto leasen, wenn es nur in der Parklücke steht. Wir möchten dennoch eine Lanze brechen für die Aufrechterhaltung von Kulturpraktiken und ein wenig Luxus: warum kein Skype-Dinner im Anzug, wenn die Alternative im Jogginganzug das Versumpfen vor Netflix mit TK Pizza ist?
Neben der Trivia des Alltäglichen ergeben sich schnell auch größere Fragen: Kann die Corona-Krise Deutschland aus dem digitalen Dornröschenschlaf wecken? Vielleicht rüttelt diese Ausnahmesituation selbst hartgesottene Home Office-Verweigerer und Internet-Skeptiker auf, sich konstruktiv mit digitaler Wertschöpfung und den Möglichkeiten der Vernetzung auseinander zu setzen.
Doch auch auf der anderen Seite, den 24/7-Onlinern und Social Media Heavy Usern, findet eine Disruption der Wahrnehmung statt – ja, ein neues Zeitalter könnte anbrechen. Noch bis vor wenigen Wochen, in der Prä-Corona-Ära, die Jahre entfernt scheint, war deren Leben von sekundengenauen Updates und überwältigender Informationsflut beherrscht. Alles geschah gleichzeitig und gleichförmig. Oder, wie es der deutsch-amerikanische Romanist, Literaturwissenschaftler und Literaturhistoriker Hans Ulrich Gumbrecht ausdrückt: Die Welt wurde als eine ununterbrochene Serie konsumiert, wie ein kontinuierlicher und somit fast schon langweiliger Stream der wechselnden Katastrophen – in der unsere Geschichte im Meer der Storys versank. Das Ergebnis war eine „sich ständig verbreiternde Gegenwart“. Mit der Pandemie scheint die Zukunft in diese „breite Gegenwart“ einzubrechen. Und mit ihr hält etwas Altbekanntes wieder Einzug: das Vieldeutige, Paradoxe und Absurde.
In der Zeit der Krise und Isolation offenbart sich uns mitunter auch unser Charakter – zumindest doch neue Charakterzüge. Schlummert in dir ein Prepper, der augenblicklich in den hortenden Ego-Modus verfällt und die Welt mit dunkelschwarzer Pessimismus-Brille bereits brennen sieht? Oder erkennst du Chancen, hoffst auf neue Möglichkeiten und glaubst an eine Läuterung? Wir haben über das Pro und Contra von Optimismus und positivem Denken diskutiert, in der aktuellen Krise, aber auch im Rest unseres Lebens.
Wie so oft hat auch an dieser Stelle die Literatur bereits alles gesehen und erlebt. Camus “Die Pest” scheint der anschlussfähigste Roman für unsere Zeit zu sein. Darin beobachten wir aus distanzierter Perspektive den Widerstand der Menschen gegen physische und moralische Zerstörung. Gleichzeitig ist es auch eine Auseinandersetzung mit der Absurdität, die so gut ins Jetzt passt. Diese Einsicht soll dich nicht in die Depression stürzen, sondern helfen, eine tragikomische Perspektive auf das Leben zu entwickeln, die einen erlösenden Effekt auf uns hat.
Am Ende gibt es viele Risse zu überdenken und zu hinterfragen. Und wie so oft ist nur eines gewiss: die Ungewissheit, der wir uns mutig und neugierig entgegenstellen müssen.
In diesem Sinne: Bleib gesund, sei auf der Suche und höre Podcasts.
Shownotes:
Zeit Artikel “Wenn das alles erst vorüber ist”
Wenn die Zukunft kommt – Artikel aus dem Philosophie-Magazin “Hohe Luft”
Die sozialpsychologische These hinter der “self fulfilling prophecy”: Thomas Theorem.
Sollten Marken das? Der Guiness Corona-Werbespot.
Whitepaper Download “5 Corona-Szenarien für Deutschlands Zukunft” von Sven Gabor Janszky, Chairmen des Zukunftsinstituts.
Zitierter streitbarer Artikel aus der Zeit.
Kurze, snackable Info zu Camus.
Entdecke die Raumtheorie.