Episode 48: Neid

Du siehst das neue Auto deiner Nachbarin. Den tollen Mantel eines Freundes. Die Ferienwohnung auf den Kanaren. Inspiriert dich das und wird zum Antrieb? Oder neidest du es ihnen?

Wer über Laster spricht, darf den Neid nicht vergessen. In der heutigen Episode schauen wir uns die Bruchstelle des Neides und der Missgunst im Alltags an.


Unter den Sünden und Lastern nimmt der Neid eine besondere Rolle ein. Denn während die meisten Laster in der Wahrnehmung etwas Positives in sich tragen (wie Lustgewinn, Müßiggang oder Genuss zum Beispiel) ist der Neid fast ausschließlich negativ konnotiert. Er wird gefürchtet und als soziales Gift angesehen. Sei es der Neid als “böser Blick”, der dem Aberglauben nach aus der Angst vor neidischen Göttern herrührt und auch Menschen nachgesagt wird. Oder sogar in der Architektur der “Neidköpfe”, den Fratzen an Türen und Dachgiebeln, die Feinde und böse Geister (die Neider) abschrecken sollen. Ob nun durch Amulette, Zier Stuck oder anderen apotropäischen Handlungen – der Neid begleitet uns alle.

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Denn Neid ist leicht zu spüren – und doch eine komplexe Emotion. Denn er setzt Vergleiche, Werte und Urteile voraus, die wir bewusst oder unbewusst in uns tragen. Neid weckt den Wunsch nach der symbolischen oder tatsächlichen Zerstörung, führt also zu sozialen Handlungen wie Lästern, Lack zerkratzen oder dem “Saure Trauben Effekt”, bei dem das Geneidete schlecht geredet wird. So führt die Angst davor, Ziel des Neides zu sein, oft zu Konformität. 


Doch bei aller Missgunst und Schattenseiten des destruktiven Neids gibt es auch eine konstruktive Seite: Wenn der Neid Ansporn, Inspiration und Ehrgeiz wird. Das ermöglicht den Blick auf das Gold in dieser Bruchstelle: den Neid als Symptome der Sehnsucht zu begreifen. Denn wir neiden nicht die Sache selbst – sondern unsere Idee der Sache. Das neue Auto der Nachbarin beispielsweise steht für Status, Aufmerksamkeit, Luxus und Freiheit. Wenn wir also unsere Werte und Ideen hinter den Neidobjekten erkennen, ermöglicht uns das, sie in Antrieb und Ziele umzuwandeln.


Wenn du also das nächste Mal Gelb vor Neid wirst, denk daran: Im Neid spiegelt sich nur deine eigene Sehnsucht. Wie erfüllst du sie?



Marc Süß