Episode 02: Fomo
Social Media und digitale Vernetzung halten uns immer auf dem Laufenden. Doch häufig entsteht dabei das Gefühl, etwas zu verpassen: FOMO, die „Fear of missing out“. Ist diese gerechtfertigt?
Der Daumen zuckt über das Display. Refresh, refresh, refresh. Unzählige bunte Bilder, Kommentare und Herzchen triggern unser Belohnungszentrum in regelmäßigen Abständen. Hier eine Party, dort ein Strandurlaub, da ein glückliches Paar mit einem geleasten V8 Turbo unterm Hintern. Soziale Netzwerke zeigen uns ausschließlich die kuratierten Highlights unseres digitalen Bekanntenkreises. Da bleibt der Neid nicht aus. Ebenso die Frage: „Warum ist bei mir nichts Tolles los?“
Dieses Phänomen nennt sich FOMO, die Angst, etwas zu verpassen. Mehr noch, sie löst sozialen Neid und Unzufriedenheit aus, die sogar in körperlichen und geistigen Beschwerden gipfeln kann. Ursache ist sicher nicht alleine der Konsum digitaler Vernetzungsangebote, doch Apps und Softwares sind so konzipiert, dass sie unser Belohnungszentrum ansprechen und FOMO begünstigen.
Diese Angst ist eine Bruchstelle in unserem Leben. Sie verhindert, dass wir den Moment genießen und macht uns zum gehetzt dauer-fotografierenden Touristen unserer Freizeit. In dieser Spoken Word Episode sprechen wir über FOMO, woher sie kommt und ob wir sie nicht auch umdeuten und positiv betrachten können. Es geht darum, im Flieger sitzen zu bleiben, um virtuelle Romantik und glücklich „Nein“ sagen zu können.
Einen möglichen positiven Umgang mit dem Phänomen, eine Brille, die wir uns für diese Episode aufsetzen, bietet der Philosoph Epikur. Der alte Haudegen bietet uns spannende Perspektiven auf die Freuden, die „Lust“, die wir im Alltag erleben und ordnet diese praktischerweise auch noch für uns ein. Statt also neidisch durch die Timelines unserer Netzwerke zu huschen, können wir in Zukunft mit einem gelassen gehauchten „Pff, das bisschen kinetische Lust hab ich heute Abend gar nicht nötig!“ einfach das Smartphone in die Ecke pfeffern und die „Joy of missing out“ genießen.
In diesem Sinne: nutzen wir Wagnis als Medikament gegen die Verpassensangst und stöbern weiter nach der Ataraxie. Ein guter Ausgangspunkt ist das Genusslauschen dieser neuen Podcast Episode. Santé.
Essay: FOMO
Vom Glück und Wasser trinken
Dem hinlänglich bekannten Aberglauben objektiven Glücks und Glückempfindens stellt Epikur schon in der Antike ein avantgardistisches, beinahe revolutionäres Konzept entgegen, ein mutiges und modernes, unscheinbar in seiner Reduktion und Integration in das eigene Handeln und Weltbild, mindestens aber anschlussfähig, gemessen am Bedürfnis des postmodernen Menschen nach Fokussierung, Kohärenz in Habitus und Erscheinung, emotionaler Orientierung, vor allem aber in der geliebten Synthese, dem lebenswerten Leben. Der Pflicht und dem Wunsch nach letzterem folgt die immerwährende Sinnsuche und damit gleichsam der ernste Griff nach den alten Philosophen, etwa den selbstmordverliebten Stoikern, ideenverliebten Platonikern oder einer anderen Trost und Fundament spendenden archaischen Logik. Ein geheimer Liebesbrief des Menschen an den als verschwunden geglaubten Geniekult. Zwischen den Zeilen ist die ganze Tragödie lesbar: Der verdächtige Glaube an eine immerwährende Konstante, eine Weisheit über den Dingen. Auf der anderen Seite die triviale Tragödie: Achtsamkeit, Kamilletee, Low-Carb und die eigens auferlegte Disziplin im Umgang mit der Welt, Glück und Dressur erscheinen als Zwillinge. Auch hier behält die epikuräische Logik ihre ureigene Strahlkraft in der begriffseigenen Dimension. Glück verliert seine objektiven, außerhalb der eigenen Subjektivität gelagerten Aspekte und erscheint als formbares, wesensbildendes Phänomen im Individuum. Glück transformiert zur weltlichen Lust, wird in der physischen Realität evozierbar, fassbar. Wo das Diktat des Genussverzichts, also etwa der Absenz eines grüblerischen Katers, der religiösen sportlichen Entfaltung oder pedantischen Ernährung zum Zwecke der Gesundheit, an seine langweiligen Grenzen stößt, setzt die zur Maßhaltung geneigte, eigentlich hedonistische Pragmatik der epikuräischen Philosophie ihre revolutionären Maßstäbe und verwandelt, ganz atheistisch, Wasser in Wein.
Literatur:
Nickel, Rainer (Hg.): Epicurus. Wege zum Glück. Berlin 2014.
Krautz, Hans-Wolfgang (Hg.): Briefe. Bibliographisch ergänzte Ausgabe. Ditzingen 2019.
Shownotes:
Wie digitale Produkte gebaut werden und dein Verhalten beeinflussen, erklärt dir Nir Eyal persönlich.
Wer “Hooked: How to Build Habit-Forming Products” selbst lesen will, findet natürlich dazu auch das passende Buch.
Mehr über Epikur und die Lebenskunst liest du hier.
Hier den Philosophie-Exkurs in Kurzform zum Wegsnacken als Video.